Klagegesang 2

Die heilsame Wirkung des Klagegesangs

In unserer Kultur ist es nicht angesehen, zu klagen und zu jammern. In anderen Kulturen hingegen gibt es Klageweiber, die den Trauernden in ihrem Trauerprozess Beistand leisten. Im Folgenden möchte ich meine Gedanken dazu teilen, wie sich der Klagegesang mir erschlossen hat, und ermutigen, es vielleicht selbst einmal auszuprobieren. 

Der Klagegesang offenbarte sich mir als ein ekstatisches, gesungenes Gebet, bei dem wir uns vollkommen hingeben und zu fließenden Werkzeugen des Göttlichen werden. Durch das klagende Singen leiten wir den Strom der Liebe, öffnen unsere Herzen und Körper.

Der Zugang zu diesem verkörperten Gebet kann durch die Auseinandersetzung mit unserem eigenen Leid erfolgen. Unser persönliches Leid wird zur Pforte, durch die wir eintreten, um das Leid aller Wesen zu umfassen. Ebenso ist es möglich, sich durch Mitgefühl mit dem Leid einzelner oder aller Wesen zu verbinden und so zum Gefäß ihrer Trauer zu werden.

In jedem Fall lassen wir das Leid durch uns hindurchfließen, verbinden es mit der Liebe in unseren Herzen und verleihen ihm Ausdruck durch das Geschenk unseres Körpers und unserer Stimme. Wir ehren und transformieren es, indem wir es in den großen Fluss des Lebens zurückführen. Dies ermöglicht es uns, das, was in Trauer und Schmerz erstarrt ist, in Bewegung zu setzen und kraftvoll das Loslassen zu unterstützen.

 

Wir können dies für alle Wesen tun: für unsere Ahnen, unsere Liebsten oder verstorbene Seelen. Wenn wir gemeinschaftlich klagen, unterstützen wir einander und alle Wesen dabei, das Unannehmbare anzunehmen und loszulassen. Wir segnen das Schmerzhafte, schenken ihm Schönheit und Liebe. Dabei treten wir beiseite, erleben Demut und erkennen die Größe des Leidens im Leben an, indem wir uns vor dem Schicksal verneigen. So lassen wir die Last von unseren Herzen und Schultern abfließen und geben sie zurück in das Ganze.

 

Indem wir das Leid nicht mehr als rein persönlich betrachten, sondern unsere universelle Verbundenheit anerkennen, fühlen wir uns getragen und geborgen in der sicheren Umarmung einer göttlichen, universellen Präsenz.

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