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Eine intime Frauengeschichte

Von der Angst und dem Zauber des Älterwerdens

Zum Osterfest habe ich mich in einem kleinen Ritual mit der Frühlingskraft verbunden. Dies brachte einen Schmerz in mir zum klingen. Die wundervolle Frühlingskraft steht dieses Jahr in starkem Kontrast zu meinem inneren Empfinden. Im Zyklus meines Lebens befinde ich mich seit diesem Jahr deutlich im Herbst. Zudem steht die unbändige Lebenskraft, die sich in den bunten Blütenteppichen auf welkem Laub ausdrückt, im krassen Widerspruch zur gedrückten Energie der momentanen Corona-Krise. In unserem Garten trotzen die Primeln in kecker Farbenfreude dem Frost und die Blütenpollen der Palmkätzchen fliegen einfach mit den Schneeflocken. Ich hingegen fühle mich seltsam erschöpft. Das macht mich traurig. Ich schaue meinem Mann in die Augen und denke, wie gerne wäre ich noch einmal die Frau, in die er sich vor vielen Jahren verliebt hat.

In seinem Blick spiegelt sich seit einiger Zeit ein Bild von mir, das ich nicht sehen mag. Seine Berührungen lösen einen unangenehmen Schmerz in mir aus, den ich nur zu gerne leugnen würde. Zum Beispiel in Momenten, in denen ich in den Spiegel schaue und das Spiegelbild einer älteren Frau sehe.

Mir wird bewusst, dass ich den Schmerz über die Unausweichlichkeit meines Älterwerdens gerne leugnen würde. Dass ich sogar gerne dagegen angehen und diesen Prozess der Reifung gerne aufhalten würde. Ich habe Angst meinen Mann zu verlieren, weil er die Frau, die ich nun werde, vielleicht nicht lieben könnte. Ich spüre die Trauer des Älterwerdens.

Dabei habe ich das Glück in einer von tiefer Liebe getragenen Beziehung mein Älterwerden zu erleben. Mein Mann und ich sind ein Paar, das gemeinsam reift und das die Abenteuer des Älterwerdens gemeinsam erleben möchte. Unsere Berührungen sind selbstverständlich und vertraut geworden und aus einer leidenschaftlichen Beziehung ist eine vertrauensvolle Beziehung erwachsen. Langweiliger ist es dadurch nicht geworden. Das liegt wohl daran, dass wir nie aufgehört haben mit offenem Herzen und neugierigem Forschergeist das Leben und uns selbst zu erkunden. So entwickeln wir uns. Jeder für sich und doch miteinander. Vielleicht ist es diese Liebe, die mir die Kraft gibt, nun diese aufrichtigen Worte zu schreiben und mir dadurch selbst zu begegnen.

Ich bin nun 51 Jahre alt und spüre den Beginn meiner Wechseljahre. Ich gehöre zu den Frauen, die ihren Zyklus lieben. Ich habe ihn immer genossen. Ich konnte in meinem Zyklus meinen gesunden Rhythmus finden und fühlte mich durch ihn mit der Natur, mit dem Universum und mit mir selbst verbunden. Auch die Zeiten meiner Menstruation waren mir nie lästig. Ich hatte das Glück diese Zeiten schmerzfrei zu erleben. Mein Körper schenkte mir viele Einblicke in die Mysterien meines weiblichen Wesens. Ich durfte sogar mehrmals das Wunder erleben ein Kind zu gebären. Kurzum ich habe mein Frausein in vielen Facetten, Farben und Formen genossen. Nun beginnt meine große Zeit des Wandels und der Begriff der Vergänglichkeit bekommt in meinem Bewusstsein eine neue Dimension. Ich spüre deutlich, dass ich nicht mehr die bin, die ich einmal war und dass eine Zeit unwiederbringlich zu Ende geht. Es fühlt sich tatsächlich ein bisschen an wie sterben. In diesem Abschied zeigt sich mir noch einmal sehr deutlich was ich verliere. Ich sehe die, von der ich mich nun verabschieden muss, deutlich vor mir. Ich spüre plötzlich diese junge Frau in mir, habe sie so klar vor Augen und unendlich viele Erinnerungen und Erfahrungen durchströmen mein Bewusstsein.

Ich spüre auch meine Liebe zu der, die ich war. Ich vermisse sie schon jetzt so sehr. Ich spüre, dass ich noch nicht weiß, wer ich sein werde, wenn sie fort ist.

Ich habe nun die Gewissheit, dass die kommenden Monate eine Visionssuche für mich sein werden. Eine Übergangszeit, in der ich mich zwischen Loslassen, Leere und Neufindung bewegen werde.

Ich werde Abschied nehmen von der jungen Frau und ihr einen Platz in meinem Herzen geben. Sie wird zu einer Erinnerung werden. Dennoch bin ich neugierig auf meine Zeit der Reifung und darauf was diese in mir hervorbringen wird. Denn wie meine hoch geschätzte Freundin Katja, habe auch ich die Erfahrung gemacht, dass mir noch nie etwas vom Leben genommen wurde, ohne dass mir etwas anderes geschenkt wurde. Ich bestaune das Leben mit all seinen Facetten und habe mir vorgenommen mich über alle Reifungsstufen meines Lebens hinweg zu entfalten. Meine Vision ist es, ein vollendetes Leben zu leben an dessen Ende sich der gesamte Fächer meines Daseins entfaltet hat. Ich träume davon eine runzelige, saftige Alte zu werden, aus deren Augen das innere Mädchen strahlt und die sich die Wildheit der jungen Frau in ihrem Herzen bewahrt hat.

Ich wünsche uns Frauen

… dass wir uns lieben lernen in all unseren Reifungsphasen

… dass wir anerkennen, dass unsere Natur zyklisch ist und wir Phasen der Leerheit brauchen

… dass wir uns in unserer Schönheit sehen können

… dass Frauen anderen Frauen beistehen

… besonders den jungen Frauen, wünsche ich gute Vorbilder, die sie ermutigen schon früh sie selbst zu sein

… dass wir uns Zeit nehmen für die wichtigen Wandlungszeiten in unserem Leben

… dass wir uns und andere Menschen an unserem Frau sein erfreuen lassen

Abschied von der jungen Frau in mir:

  • Du warst die, die die süße Macht der Verführung genossen hat.
  • Du warst die, die leidenschaftlich begehrt wurde.
  • Du warst die, die ihre Attraktivität genossen hat.
  • Du warst die wilde Löwin, die brüllend ihre Kinder zur Welt gebracht hat.
  • Du warst die Mutter, die endlose Reserven mobilisieren konnte, um nächtelang Kinder zu beruhigen.
  • Du warst die mit den acht Armen, mit denen du die vielen Herausforderungen eines Frauenlebens jongliert hast.
  • Du warst die, die Überzeugungen hatte und die ehrgeizig ihre Träume verfolgte.
  • Du warst die, die sich selbstverständlich auf die Kraft ihres Körpers verlassen konnte und nächtelang durchgetanzt hat.
  • Du warst die, die nach dem Feiern am nächsten Tag in der Früh aufstehen konnte.
  • Du warst Mutter, Geliebte, beruflich erfolgreiche Frau und manchmal auch die, die du nicht sein wolltest.

Ich erinnere mich an sinnliches Entzücken, an innere Kämpfe, an dein Licht und an deinen Schatten.

Nun wirst du zum Samen im dunklen Raum meiner Leerheit. Im Schutz und in der Wärme des Kokons meines Herzens darfst du nun reifen, vergehen und neu auferstehen- als die Eine, die aus dir erwachsen ist und zugleich eine Andere wird, als du es warst.

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