„Ich habe gelernt mit dem Schmerz zu leben, dass du mich immer mal wieder doof findest und mich dann ablehnst.“
Diesen Satz hat mein Mann heute in unserem Zwiegespräch zu mir gesagt. Seine Worte trafen mich mitten ins Herz. Ich fühlte die Verletzungen, die ich unserer Liebe zufüge, wenn ich böse auf mich, ihn und die Welt bin. Die Erkenntnis über die Wirkung meines Verhaltens spiegelte sich plötzlich sehr klar in seinen Augen und Worten. Dabei habe ich längst erkannt, dass die lieblose Sicht auf unsere Beziehung ein Schutzmechanismus ist. Das es leichter ist wütend und verletzend zu werden als mir und ihm meine Verletzlichkeit und Bedürftigkeit einzugestehen. Aber es ist manchmal schwer den Weg in mein offenes, mitfühlendes Herz zu finden.
Die innerlichen Grenzen meiner Liebesfähigkeit
Es sind die Momente, in denen ich innerlich an die Grenzen meiner Liebesfähigkeit stoße und der Welt dafür die Schuld geben möchte. Und ich finde dann immer gute Gründe für die Abwesenheit meiner Liebe. Tatsächlich kann es manchmal die dreckige Wäsche über dem Schlafzimmersessel oder die falsch eingeräumte Spülmaschine sein oder die Art wie er redet, die Ärger in mir auslösen und meine Lieblosigkeit begründen.
Vorwürfe statt Bedürfnisse
Langsam aber stetig, manchmal sogar unbemerkt, formulieren sich immer weitere Vorwürfe in meinen Gedanken. Ich lande in der Wenn-Dann-Falle. Wenn er anders wäre, dann könnte ich ihn lieben. Früher konnte dies so weit führen, dass ich begann an unserer Beziehung und unserer Liebe zu zweifeln. Heute ist unsere Beziehung so sicher, dass dies nicht mehr geschieht. Über die Jahre habe ich gelernt, dass sich hinter meinen Vorwürfen wichtige, unerfüllte Bedürfnisse befinden. Und dass jeder Vorwurf mich weiter von der Erfüllung dieser Bedürfnisse entfernt. Denn jeder Vorwurf löst im Gegenüber reflexartig eine Schutzreaktion aus. Entweder Verteidigung, Gegenvorwurf, Rechtfertigung oder Rückzug.
Der Weg durch die Angst
Natürlich ist es die Angst, die den Schutzmechanismus auslöst und die „vorwurfsvolle Kämpferin“ in mir aktiviert. Angst mich verletzlich zu fühlen und zu spüren, was mir in der Tiefe wirklich fehlt. Angst vor Ablehnung, Angst vor Schwäche, Angst davor enttäuscht zu werden, Angst mich einsam oder falsch zu fühlen.
Es braucht Mut und eine absichtsvolle Entscheidung, sich auf diese Angst zuzubewegen, anstatt sich von ihr abzuwenden. Ich habe gelernt, dass der Weg durch meine Angst, mich zu einem bedürftigen und sehr schützenswerten Teil meines Wesens führt, der darauf wartet geliebt und angenommen zu werden.
Das Bedürfnis nach sicherer Bindung
Das Bedürfnis nach sicherer Bindung ist ein lebenslanges, existenzielles Grundbedürfnis jedes Menschen. Sichere Bindung ist für unsere emotionale und seelische Entwicklung so lebenswichtig wie Wasser und Nahrung für unseren Körper, von Geburt an bis zum Tod – und vielleicht sogar darüber hinaus. Wir sind Bindungswesen und brauchen Menschen mit denen wir uns sicher verbunden fühlen.
Als ich mir dieses Grundbedürfnisses im ganzen Ausmaß bewusst wurde, fühlte ich neben Glück und Erleichterung auch den Schmerz darüber, dass ich sichere Bindung oft vermisst habe. Dass ich mich oft in meinem Schutzmechanismus der Autonomie verloren hatte und ich fühlte meine große Sehnsucht nach Verbundenheit und Ankommen.
Die große Liebe
Vielleicht kennst du die Sehnsucht nach der großen Liebe auch. Ich hatte sie lange Zeit.
Ich habe mich nach ihr gesehnt und gehofft, dass ich sie erkenne, wenn sie mir plötzlich begegnet – und habe an ihr gezweifelt, wenn ich dachte sie gefunden zu haben.
So wurden Enttäuschungen, Verluste und Beziehungsbrüche Teil meiner Geschichte um die große Liebe. Denn meine große Liebe sollte ja mein Soulmate sein und ein Gefühl des Nachhause-kommens in mir auslösen. Sie sollte mir unbedingte Sicherheit, Geborgenheit, Freude, Leichtigkeit und Wärme schenken.
Ich habe meine große Liebe gefunden
Nun lebe ich schon viele Jahre mit meiner großen Liebe zusammen. Jedoch habe ich ganz anders in diese große Liebe zu meinem Mann gefunden, als ich es mir vorgestellt hatte.
Mein erster großer Schritt in die große Liebe gelang mir, als ich meine Vorstellungen, Urteile und Erwartungen losließ und lernte mit meinem liebenden Herzen zu sehen. Ein weiterer wichtiger Schritt in die große Liebe war, dass ich erkannte, dass die große Liebe nicht einfach da ist, sondern dass mein Mann und ich sie gemeinsam erschaffen. So wurde unsere Liebe über die vielen Jahre immer tiefer, umfassender und weiter. Wir erschufen sie dadurch, dass wir sichere Bindungen entwickelten. Wir verloren uns nicht in unserer Angst, in unseren Zweifeln oder unseren Schutzmechanismen. Wir suchten Wege durch die Angst, begegneten uns schutzlos, vertrauten uns einander an und waren füreinander da. Statt: „ich brauche jetzt mal Abstand“ fragten wir „bist du da für mich?“ und so konnten wir die Erfahrung machen, dass sich nicht nur die Liebe zwischen uns vertiefte, sondern auch die Liebe zu uns Selbst und zum Leben. Wir machten es uns zur Aufgabe, unsere Liebe wachsen zu lassen, in ihr anzukommen, füreinander da zu sein und im wahrsten Sinne des Wortes Lebensgefährten zu sein.
Liebe ist …
Liebe ist ein leuchtendes Gewebe im Raum zwischen den Dingen. Sie ist gesponnen aus den liebevollen Bindungen, die ich zu mir Selbst, zu Anderen und über uns hinaus webe. Sie wird mehr, je mehr Bindungen ich liebevoll eingehe. Immer wenn ich mich wieder einmal einsam vor den verschlossenen Toren meines Herzens fühle, dann weiß ich, dass ein Teil meines Wesens an die Türen meines Herzens klopft, der aus dem Schatten in das lichtvolle Gewebe meiner großen Liebe möchte.