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Sexualität – Ein gezwungener Aufbruch in neue Welten – von Katja Buro

Im folgenden Blog Beitrag schenkt uns Katja eine weitere Geschichte über die heilsame Kraft eines Perspektivenwechsels, zu dem sie durch ihr Leben im Rollstuhl geführt wurde. Vielleicht inspiriert sie auch dich,  durch ihre geteilte Einsicht zu dem ein oder anderen Perspektivenwechsel. 

Als sich die Fähigkeit, meinen Körper selbstständig zu dirigieren, langsam verabschiedet, hat das natürlich Auswirkungen auf viele Bereiche meines Lebens – auch auf meine Sexualität. Es wäre schön, wenn ich gerade zu diesem Tabuthema inspirierende Literatur von Betroffenen finden würde. Aber dem ist nicht so. Bleibt mir nur, meine eigenen Erfahrungen zu machen.

Ich durchlaufe tiefe Krisen, fühle mich fast ein Jahr als Frau gänzlich unwert. Mein komplettes Selbstbild von Frausein kommt heftig ins Schwanken, weil ich davon überzeugt bin, meiner Attraktivität und meiner Verführungskünste beraubt zu sein. Und weil meine Vorstellungen von sexueller Begegnung andere sind, als die, die ich mit meinem Körper in die Tat umsetzen kann. Aber ich mache auch äußerst heilsame Erfahrungen, indem ich erleben darf, in neue, andere Sphären einzutauchen. Ich entschließe mich, all diese Erfahrungen in einer Kolumne zu Papier zu bringen. Vielleicht kann ich ja anderen Betroffenen meinerseits irgendwann einmal Inspiration geben, denke ich mir.

Jetzt allerdings, Jahre später, da ich kurz davor bin, mein Buch zu veröffentlichen, spüre ich, dass es sich nicht stimmig anfühlt, diese intimen Zeilen preiszugeben und zwar aus zwei Gründen: Zum einen, weil ich mittlerweile – anders als früher – das Preisgeben meiner intimsten Erfahrungen ein wenig als Verrat an meiner Selbstfürsorge und damit auch an meiner Selbstliebe empfinden würde. Und zum anderen, weil ich meinem Sohn ersparen möchte, so intime Zeilen über seine Mutter zu lesen.

Aber die Botschaft der Lektionen, die ich auf meiner Achterbahnfahrt durch die Sexualität lernen durfte, hat nicht nur einen hohen Tribut gefordert. Ich finde sie auch so kostbar, dass ich sie euch, liebe Leserinnen und Leser, nicht vorenthalten möchte. Ihr bekommt jetzt also die nackte Botschaft ohne die dazu gehörende Geschichte. Ich hoffe, ihr habt Verständnis dafür. Die Botschaft lautet: In der Beschränkung liegt die Fülle verborgen, in der Enge die Weite.

Als ich gezwungen war, mich von der früher geliebten Vielfalt an Bewegungen zu verabschieden, ging es mir so lange schlecht, wie ich den Fokus auf dem Abschied hielt. Erst als mir bewusst wurde, dass sich ja nur meine Bewegungsfähigkeit eingeschränkt hatte und nicht meine Fühl- und Wahrnehmungsfähigkeit, offenbarte sich mir eine neue Form der Erfüllung. Ich richtete meine ganze Aufmerksamkeit auf das, was noch da war und erforschte meine Fühlknospen. Und siehe da: es offenbarte sich mir eine neue Vielfalt an Fühl- und Wahrnehmungssensationen, die mir ohne den Fokuswechsel verborgen geblieben wäre. Nicht fade Monotonie, sondern pralle Fülle war die Belohnung.

Diese Entdeckung war für mich eine zutiefst berührende Offenbarung mit großer Tragweite. Ich konnte sie in alle Lebensbereiche übertragen. Wie häufig sind wir in unseren Möglichkeiten beschränkt? Wie häufig empfinden wir unangenehme Enge, die sich kurzfristig nicht auflösen lässt? In diesen Situationen den Fokus unserer Aufmerksamkeit zu wenden von dem, was fehlt auf das, was ist. Und das, was ist, mit einem Vergrößerungsglas zu betrachten, ist für mich mittlerweile eine höchst heilsame Anleitung zum Glücklichsein geworden.

Gerade neulich saß ich wieder in meinem Rollstuhl – am Stadtparkrand gestrandet. Früher hatte ich die große Runde gemacht und die vielen schönen Perspektiven des ganzen Parks genossen. Ich hatte meine Kraft- und Lieblingsbäume zu allen Jahreszeiten im Zusammenspiel betrachtet und genossen. Jetzt war ich unweigerlich zu dieser einen Perspektive meines ungewollten Stopps gezwungen. Aber neben mir steht ein Baum. Und als ich mir seinen Stamm mit der bizarren Rinde anzuschauen beginne, entdecke ich ein lebendiges Kreuchen und Fleuchen von wuselnden Ameisen, schillernden Käfern und sich anmutig bewegenden Würmern. Welch pralles Leben und welch große Schönheit, die ich vorher auf diesem Weg nie wahrgenommen hatte!

Ich bin dankbar für all die Perspektivwechsel, zu denen mich das Leben auffordert – egal ob in meiner Sexualität oder während einer Strandung im Stadtpark. Alle offenbaren mir magische Momente, die mir ohne Perspektivwechsel verborgen bleiben würden. Es lebe die Überraschung des Unerwarteten

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